Friedrich Georg Klopstock
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1802) und J. G. Seume: ein schwieriges Verhältnis. Der Dichter Seume hatte den älteren Kollegen verehrt – als Korrektor und Lektor des Verlegers Göschen lernte er ihn als hochmütigen Rechthaber fürchten. Es waren nicht zuletzt die Demütigungen, die Seume bei der Arbeit an Klopstocks Werken erfuhr, die ihn zum „Spaziergang“ nach Syrakus trieben. Es folgen zwei Texte: »Wirke, das ist das große Gesetz!« und Klopstock, der »Schrittschuhläufer«
»Wirke, das ist das große Gesetz!«
© Otto Werner Förster
Die Hundertschaften von Kleindichtern der deutschen Literaturgeschichte, in ihrer Zeit womöglich gelobt und gelesen, sind fast rückstandslos vergessen: aufgrund mangelnder Substanz z.B., fehlender Weltsicht, Unbildung, bodenloser Anmaßung, einer der Schriftstellerei abträglichen Sprachschwäche usw. Das wird mit vielen Heutigen nicht anders gehn. Klopstock aber ist ein besonderes Phänomen. Jede Literaturgeschichte widmet ihm Abhandlungen. Lesen wird ihn in unserer Zeit so gut wie niemand.
Sein Werk und sein Wirken sind derart in der Literatur aufgegangen, daß es selbstverständlicher Teil alles Weiteren wurde. Seine Sprachkraft etwa, seine Hexameter und freien Rhythmen, sein aufklärerisch-humanistischer und damit politischer Anspruch, und der selbstbewußte Anspruch, den vermeintlich Großen der Welt, den Fürsten und Lenkern, als Künstler mindestens ebenbürtig zu sein. Er hat sich eingemischt. »Wirke! Das ist das große Gesetz!« Klopstock wirkt über die Klassik und Hölderlin bis zu Johannes Bobrowski, Peter Rühmkorf und Karl Mickel.
Die Lebensstationen des Freimaurers Friedrich Gottlieb Klopstock waren die Geburtsstadt Quedlinburg, Schulpforta, die Universitäten Leipzig und Jena, dann Zürich, zwanzig Jahre Kopenhagen, und Hamburg, wo er begraben liegt. Die Lebensumstände waren geprägt von literarischen, kunsttheoretischen, politischen Fehden, vom Bemühen um Unabhängigkeit und also Broterwerb – und von Kriegen. Ein Lebensgang wie in unserem Jahrhundert.
Die Kriege waren die des Preußenkönigs und machtversessenen Angriffskriegers Friedrich II. und die Kriege in der Folge der Französischen Revolution 1789. Klopstock hat sich dagegen gestellt. Die Französische Republik machte ihn zum Ehrenbürger.
Klopstock ist unbedingt lesbar; wenn man sich einläßt. Es sind auch für unser Empfinden zahllose schöne Gedichte unter den Oden, scharfsinnige moderne Gedanken in seinen Schriften. Die Persönlichkeit dahinter ist faszinierend gegenwärtig, kantig und sperrig. Ein konsequenter Humanist. Das schützte ihn vor Einvernahme durch wechselnde Ideologien. Wir sollten ihn lesen.
Friedrich Gottlieb Klopstock wurde am 4. Juli 1724 in Quedlinburg geboren, das Haus ist jetzt ein schönes Museum mit wenigen Besuchern. Er war ein bedeutender Schlittschuhläufer, »Schrittschuhlaufen« hat er es genannt, und er war einer der Pioniere dieser Sportart. Vor allem aber ist Friedrich Gottlieb Klopstock ein bedeutender Dichter. Er hat z.B. griechische Versmaße für unsere Sprachbesonderheiten nutzbar gemacht: er hat die »freien Rhythmen« erfunden. Das ist ein Segen für die deutsche Dichtung seit 250 Jahren und gleichermaßen ein Schrecknis, denn es öffnet seit eben dieser Zeit Tür und Tor für jede Art von Dilettanten. Klopstocks Werk und Wirken ist in der Literatur aufgegangen. Er hat sich eingemischt mit seinem aufklärerisch-humanistischen und damit politischen Anspruch, den vermeintlich Großen der Welt, den Fürsten und Lenkern, als selbstbewußter Künstler mindestens ebenbürtig zu sein. »Wirke! Das ist das große Gesetz!«. Und begonnen hat es in der Leipziger Burgstraße. Hier wohnte der Absolvent der Landesschule Pforta seit Pfingsten 1746, in einer WG sozusagen. Andere Mitschüler waren schon da in der Burgstraße Nr. 92, dem Haus »Zum Hirschkopf«, das lange schon nicht mehr da ist und an der heutigen Rückfront des Petershofes stand. Besitzer waren der Schneidermeister Radicke und seine Witwe, und im Jahrhundert zuvor die mütterlichen Vorfahren Otto von Bismarcks. In der WG wohnten oder diskutierten Gottlieb Wilhelm Rabener, Johann Christoph Schmidt, Johann Andreas Cramer, Matthias Gerhard Spener – alles Namen, die heute kaum mehr bekannt sind. Aber das waren die Akteure, als Leipzig ein Zentrum der deutschen Aufklärung war, zunächst mit Gottsched, dann gegen ihn. Junge Wilde, gebildete Weltumstürzler. Es waren die Schreiber der Zeitschrift »Bremer Beiträge«, die in Bremen verlegt und in Leipzig herausgegeben wurde. Ein kultur- und damit gesellschaftskritisches Blatt, das heftige Artikel brachte und damit heftige Reaktionen auslöste. Klopstock sollte eigentlich Theologie studieren, kam aber kaum dazu. Er schrieb seine »Oden an die Leipziger Gefährten«, in Hexametern, und begann seine große »Messias«-Dichtung, hier in der Burgstraße. Schräg gegenüber in der Alten Baderei und auch in einer WG, wohnte zur gleichen Zeit Gotthold Ephraim Lessing, der auch keine Zeit zum Theologiestudium hatte und deshalb zum großen Dichter und Aufklärer wurde. Sie werden sich in einem der muffigen, alten Hörsäle begegnet sein; Notiz nahmen sie noch nicht voneinander. Beider Ruhm datiert aus späteren Jahren.
Der Quedlinburger Klopstock ging im Mai 1748 nach Langensalza, dann in die Schweiz, nach Kopenhagen, nach Hamburg. Hier wurde er – wie auch Lessing – in die Freimaurerloge »Zu den drei Rosen« aufgenommen. In Hamburg starb Klopstock am 14. März 1803. In Altona liegt er begraben.
Klopstock, der »Schrittschuhläufer«
Ein Briefwechsel
© Otto Werner Förster
»Aber mein liebster, bester Gleim, warum unterstehen Sie sich denn, überhaupt solange zu leben, wenn Sie doch nicht reiten! Ich bitte Sie, unverzüglich mit dem Reiten wieder anzufangen! Mit der Ausrede, Sie wären schon zu alt dazu, dürfen Sie mir nicht kommen! Wieviel Schlafröcke und Nachtmützen haben Sie zur Zeit überhaupt an und auf? Kurzum, liebster Gleim, denken Sie nur daran, durch eine gesunde Lebensweise Ihre Jahre zu verlängern ...«
... schreibt der 72jährige Friedrich Gottlieb Klopstock im Jahre 1796 an seinen 77jährigen Freund Gleim nach Halberstadt. Der antwortet:
»Glauben Sie mir nur, mein liebster Klopstock, ich verstehe schon ebensogut zu leben wie Sie! Denn während Sie noch reiten, brauche ich noch keine Brille! Und um eines längeren Lebens willen, fang ich schon gar nicht mit dem Reiten an, weil ich mich jetzt an das Kutschenfahren gewöhnt habe. Ferner trage ich weder Schlafrock noch Nachtmütze. Die letzte Nachtmütze warf ich vor einem Jahr dem abreisenden Herder an den Kopf ...«
Fünf Jahrzehntevor der Nachtmützen-Zeit war Klopstock Leipziger Student aus einer WG in der Burgstraße. Und eine Sportskanone. Glaubt man nicht. Bei einem Dichter des 18. Jahrhunderts. Klopstock, der »Erfinder« der von unseren jungen Dichtern meist mißverstandenen sogenannten »Freien Rhythmen«.
Die Zeitgenossen wußten es, etwa Karl August Böttiger, der Weimarer Mitschreiber:
»Als Klopstock in Zürich bei Bodmer war, gab er Beweise von körperlicher Fertigkeit, von Geschicklichkeiten im Fechten und Reiten, die noch lange nachher als halbe Wunderlegenden erzählt wurden, und auf die ich mich wohl noch besinnen zu können wünschte. Kein Tag verging ihm ohne Gymnastik. Er war der größte Eisläufer...«
Tatsächlich, Klopstock, der Dichter, hat das Schlittschuhlaufen in Deutschland eingeführt. Seine 20 Jahre Exil in Kopenhagen mögen es befördert haben. Er nannte die Leibesübung allerdings »Schrittschuhlauf«. Egal wie, Klopstock hat die Eislauf-Heiden bekehrt. Zum Beispiel den Schriftsteller Helfrich Peter Sturz:
»Mit der Salbung eines Heidenbekehrers predigte uns Klopstock den Eislauf. Und welche Wunder bewirkte er, denn selbst mich, der ich mit meiner beleibten Statur nicht gerade zum Schweben gebaut bin, hat er aufs Eis argumentiert. Alle kleinen Wasseransammlungen um Kopenhagen waren ihm bekannt, und er liebte sie nach der Reihe, wie sie später oder früher zufroren. Mit hohem Stolze sah er auf alle Verächter der Eisbahn herab, und eine Mondnacht auf dem Eise war ihm eine Festnacht der Götter:
Nur ein Gesetz: wir verlassen nicht eher den Strom, Bis der Mond am Himmel versinket!‘ Doch wehe mir, wenn ich sein Gesetz durch eine Glosse verdrehte ...
Auch den jungen Matthias Claudius, der 1764 nach Kopenhagen kam, bekehrte er, wie später den jungen Goethe, zu der 'beschwingten Kunst Tialfs' und schrieb auf ihn die berühmte Ode 'Der Eislauf' ...«
Mit zunehmendem Alter Klopstocks wurden die Eislauf-Schüler jünger, und schließlich waren es die jungen Mädchen. Freund Gleim schreibt er:
»Ich habe in Hamburg eine ganz große, erhabene, gewichtige, schwere Sache vor! Ich will unsere leichtesten und jüngsten Damen zu Schrittschuhläuferinnen machen ...!«
Hat er. Die jungen Damen fahren noch heute.